Ein Jahr der Rekordinflation

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Dezember 2021: In der Eurozone klettert die Inflationsrate auf fünf Prozent. Damit schießt sie weit über das angepeilte Zwei-Prozent-Ziel der Eurowächter hinaus. Doch EZB-Präsidentin Christine Lagarde bleibt gelassen, die Inflation werde sich im Laufe des nächsten Jahres wieder beruhigen: „Inflation is expected to remain elevated in the near term, but should ease in the course of next year“, sagte sie damals.

Also kein Grund, hektisch zu werden und mit höheren Zinsen gegenzusteuern. Das empfahlen damals auch viele Volkswirte: „Die EZB täte wirklich gut daran, ganz cool zu bleiben und das zu tun, was die meisten Experten tun, das Phänomen beobachten. Ich würde Entwarnung geben und ich würde auch Wetten eingehen, dass wir Ende 2022 wieder eine Inflationsrate von unter zwei Prozent haben“, sagte Martin Lück vom weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock vor gut einem Jahr.

Aktuell: 10,0 Prozent Inflation

Doch die Prognose bewahrheitete sich nicht: Aus fünf Prozent wurden 2022 zehn Prozent Inflation. Selten wurden so viele Expertinnen und Experten auf dem völlig falschen Fuß erwischt: „Ich kann die Vorhersage verstehen. Dass sich die Inflation so entwickeln würde, war Anfang des Jahres nicht klar“, sagt Ulrike Malmendier, Professorin an der US-Universität Berkeley. Die Inflationsexpertin ist seit August eine der fünf Wirtschaftsweisen. „Allerdings muss man deutlich sagen, dass schon seit Beginn 2021 die Inflation kontinuierlich angestiegen ist“, fügt sie ihrer Analyse hinzu.

Tatsächlich gab es bereits im vergangenen Jahr klare Warnsignale dafür, dass die hohen Preise kein vorübergehendes Phänomen sind, wie vielfach geglaubt wurde. Denn die Corona-Pandemie hatte die Lieferketten massiv gestört, die Preise für Vorprodukte schossen in die Höhe – darunter leiden die Unternehmen bis heute.

Ukraine-Krieg und Energiekrise

Dazu kam der russische Angriffskrieg in der Ukraine, den niemand auf der Rechnung hatte: Er ließ die Energiepreise auf immer neue Rekordstände steigen. Die Megawattstunde Gas kostete an der europäischen Börse zeitweise über 300 Euro. Das hatte es zuvor noch nie gegeben.

„Wenn man sich alle drei Komponenten anschaut: Lebensmittel, Energie, Kerninflation – sie alle haben beigetragen. Ich finde ich es persönlich verzerrend zu sagen, dass nur die Energiepreise an der hohen Inflation schuld sind“, so die Wirtschaftsweise Malmendier.

 

Krise beeinflusst das Verhalten

Die Inflation ist längst in der Breite angekommen und umfasst praktisch jeden Bereich des täglichen Lebens. Die Erfahrung, dass Brot, Milch und Heizen immer teurer werden, verändert auch das Verhalten der Menschen, so Malmendier: „Je schärfer die Krise, je länger sie gedauert hat, desto mehr lebt sie in den Köpfen der Leute fort. Selbst dann, wenn aktuelle Zahlen sie nicht mehr beinhalten.“ Das könne über Jahrzehnte das Verhalten der Menschen beeinflussen.

Immerhin stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Preise langsam ihren Höhepunkt erreicht haben, sagt Ulrich Kater, der Chefvolkswirt der Deka-Bank: „Deswegen sind wir bei den höchsten Inflationsraten sicher über den Berg, aber beim ganzen Inflationsproblem sicher nicht. Erst, wenn die Inflationsraten auf zwei Prozent runtergehen, ist das Problem überstanden.“

 

Sechs Prozent Inflation 2023

Auch im Jahr 2023 dürfte die Inflation sehr hoch bleiben. Die EZB geht von über sechs Prozent aus, die Bundesbank und die Wirtschaftsweisen tippen sogar auf rund sieben Prozent. Denn Energie bleibt teuer und die Unternehmen dürften auch einen Teil der Lohnerhöhungen weitergeben.

Und bis die höheren Zinsen wirken, dauert es noch. Aber auch wenn die Inflation wieder auf ein Normalmaß sinkt, bleibt ein schmerzhafter Wohlstandsverlust.